Leseprobe
Wilbur und Urban in der Festung (aus: Das Donarium und die dunkle Festung)
Urban blickte um sich und ganz wohl war ihm nicht dabei. Aus der Menge tauchten immer wieder kleine Trupps von schwarzen Bumerangskeletten auf und kreuzten ihren
Weg.
„Jede Menge Dämonenverkehr hier, wenn das nur mal gut geht“, sagte Urban besorgt.
„He, ihr Beiden da, sofort hier rüber zu mir, aber dalli - Ausweiskontrolle!“, winkte sie ein schwarzes Skelett zu sich heran, das vor der Höhlenwand an einem
grünen Klapptisch am Wegesrand stand, an dem auf Klappstühlen noch zwei seiner Kollegen saßen.
„Was hab ich dir gesagt“, flüsterte Urban, „jetzt haben wir den Salat!“
„Nur nicht die Nerven verlieren!“ hauchte Wilbur und presste die Lippen zusammen. „Geh einfach unauffällig weiter und tu so, als wärst du nicht
angesprochen!“
„He, seid ihr taub, ihr trüben Figuren - ja, euch meine ich!“, rief das Skelett, als Urban und Wilbur an ihm vorbeimarschieren wollten.
Jetzt mussten sie zwangsläufig stehen bleiben. Das Skelett, das vom Rang her einem Optio entsprach, kam ihnen entgegen und sagte in herrischem Ton: „Die Ausweise,
wenn ich bitten dürfte!“
„Los, mach schon und zeig sie ihm und dann nichts wie weiter, wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit!“
Wilbur spielte das Spiel mit, das Urban mit ihm veranstaltete und wühlte in der Tasche seiner Weste herum: „Ich kann sie nicht finden!“
„Soll das heißen, du hast sie nicht mitgenommen? Das sieht dir wieder mal ähnlich, immer vergisst du alles!“, sagte Urban.
Das Skelett blickte die beiden aus kleinen, trüben Äuglein misstrauisch an und winkte seine Kollegen herbei, die sich sogleich von ihren Stühlen erhoben und zu
ihnen herüberkamen.
„Da hast du es, nur wegen deiner Schlamperei bekommen wir jetzt Riesenärger!“, schauspielerte Urban weiter, als ihn der Optio mit einer herrischen Handbewegung zum
Schweigen anhielt.
„Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten, Optio?“, fragte eines der beiden anderen Skelette seinen Chef.
„Die Beiden führen keine Ausweise mit sich und veranstalten hier ein Riesen Theater, von wegen sie hätten sie vergessen. Und dass soll ich ihnen
abkaufen.“
Wie auf ein unsichtbares Signal hin, lösten sich noch fünf weitere schwarze Bumerangskelette aus der Menge an Dämonen, die auf der Straße unterwegs waren. Urban und
Wilbur wurden umzingelt. Nur Sekunden später standen sie zusammen mit dem Optio und dessen zwei Gehilfen im Kreis. Mehrere spitze Lanzen wurden auf sie gerichtet.
„Los Abstrich nehmen!“, befahl der Optio und drückte seine Lanze auf Urbans Brust.
Ein Legionär trat in den Kreis hinzu und fuhr Urban mit einem glitschigen Pinsel mitten durchs Gesicht.
„He, das kitzelt!“, lachte der Schrat.
„Ruhe, verdammt, wirst du wohl schweigen!“, schrie der Optio und stupste Urban kurz mit seiner Lanzenspitze an. Urban zuckte zusammen. Inzwischen hatte der Legionär
Urban’ s Abstrich auf eine sandpapierartige Unterlage gepinselt, deren Oberfläche sich sofort hellblau verfärbte.
„Wusste ich’ s doch“, sagte der Optio, „ihr seid keine Dämonen, denn dann hätte sich der Teststreifen nämlich schwarz und nicht blau verfärbt!“
Sein Gesicht verzog sich zur Fratze und mit einem heftigen Ruck stieß er die Lanze tief in Urbans Brust.
Für einen kurzen Augenblick schien die Zeit still zu stehen und Wilbur, der mit so viel Kaltblütigkeit nicht gerechnet hatte, stand mit schockgeweiteten Augen da.
Verdammt, er hätte rechtzeitig etwas unternehmen müssen, jetzt war es um seinen Kollegen geschehen.
Doch halt - Wilbur stutzte - ,irgendetwas stimmte hier nicht. Das bemerkte auch der Optio. Zum einen hatte der Schrat nicht einmal gezuckt, als ihn die Lanze
durchbohrte. Und zum anderen hatte der Optio beim Hineinstechen der Stechwaffe in Urbans Brust keinerlei Widerstand verspürt. Stattdessen hatte der Schrat mit seiner Rechten den Lanzenstiel
gepackt.
Mit einem kräftigen Ruck zog er die Waffe nun aus seinem eigenen Leib heraus und rammte deren Stiel, in einem Zug dem gegenüberstehenden und vollkommen überraschten
Optio zwischen die Rippen.
Das Skelett verlor den Boden unter den Füssen, als Urban die Lanzenspitze auf die Strasse drückte und den Stiel mit beiden Händen kraftvoll in die Höhe zog. Die
Lanze bog sich nach oben durch wie ein großer Flitzebogen und schnellte sogleich in ihre Ausgangsposition zurück.
Der Optio, der mit seinen Rippen am Lanzenende verkeilt hing, wurde über Urban und die Skelette hinwegkatapultiert. Wie eine Rakete sauste er durch die Luft über
die Köpfe der zahlreichen Passanten hinweg und krachte etwa 50 Meter entfernt in hohem Bogen und mit lautem Getöse in einen großen Gemüsestand. Seine Knochen verteilten sich durch den Aufprall
kreuz und quer in der Gegend.
Verdutzt guckte die dicke Hornkämpfer- Gemüsefrau auf ihren zerstörten Stand, der unter der Last des Optio zusammengebrochen war. Vor ihr am Boden lagen in den
Trümmern die Überreste ihrer schönen Kohlköpfe und dazwischen der Skelettschädel des Optio. Die Kinnlade des Schädels klappte auf und zu und die verdrehten Augen wurden wieder klar.
„Bring mir sofort meine Knochen!“, fauchte der Schädel des Optio zwischen den Kohlköpfen der Marktfrau entgegen, deren eben noch starrer Blick sich abrupt
verfinsterte.
„Hol sie dir gefälligst selbst, du verdammter Bürgerschreck. Da sie sich einer bloß meinen schönen Kohl an!“, sprach die Marktfrau wütend, dass ihre Stimme
überschnappte, und packte den Skelettkopf an den wenigen vorhandenen Haaren.
„Hilfe, was tust du, nein, nicht...!“, schrie der Optio verzweifelt.
Die Marktfrau warf den Kopf vor sich in die Höhe, holte aus und kickte den Schädel mit einem wuchtigen Tritt wie einen Fußball davon.
„Aaaaaaahhhhh!!!“ Der Kopf sauste durch die Luft, schlug auf der anderen Straßenseite gegen die Höhlenwand, prallte von dort ab, duppte zwei, drei Male auf die
Strasse und landete an einem Trolleisstand in der Wundertüte eines Trolljungen. Als der den schwarzen Totenschädel zwischen seinen Rieseneisbällchen erblickte, fing er laut an zu
weinen.
„Was soll die Schweinerei!“, brüllte der Vater des Kleinen, pflückte den Totenkopf aus der Eistüte und hielt ihn dicht vor sein Gesicht: „Immer dasselbe mit euch
Militärpack, den ganzen Tag Leute tyrannisieren und sich obendrein noch an kleinen Kindern vergreifen!“
„Nein, bitte nicht wegwerfen, hab doch Erbarmen!“, flehte der Optio den Trollpapa an, doch da hatte dieser den Schädel bereits wieder auf die Reise
geschickt.
Unterdessen hatten die anderen Skelette, die Wilbur und Urban umzingelten, ebenfalls erfolglos versucht, ihre Speere in den Schrat hineinzustoßen. Wilbur, der sich
inzwischen aus seiner Starre gelöst hatte, schwang seinen wuchtigen Morgenstern.
Ein Rundschlag verteilte die Knochen von drei Skeletten quer über die gesamte Breite der Einkaufsstrasse. Ein viertes hatte sich an Wilburs hartem, steinernem Leib
seine Lanze abgebrochen. Lediglich einen Kratzer hatte sie hinterlassen. Wilbur schlug mit seiner Linken wie mit einem riesigen Dampfhammer zu und zertrümmerte den Schädel des Dämons wie ein
rohes Ei.
Die restlichen zwei Skelette um Wilbur und Urban wichen zurück und zitierten drei Hornkämpfer herbei, die aus der Menge auftauchten. Ein weiterer Trupp
Bumerangskelette folgte ihnen.
„Ergreift sie, im Namen des Grafen, es sind Eindringlinge!“
Während sich Urban den Skeletten zuwand, hatten es die Hornkämpfer auf den Schmied abgesehen.
Sie waren selbst sehr stark, doch dem graublauen Koloss mit dem Morgenstern kräftemäßig um einiges unterlegen. Trotz ihrer enorm wuchtigen Statur maßen sie nur
etwas mehr als die halbe Schulterbreite des Riesen und reichten ihm von der Größe her gerade mal bis zum Hals.
Hinzu kam, dass der Körper des Ungetüms aus einer unsagbar harten Substanz bestand.
Als die drei Hornkämpfer mit ihren Schwertern und Äxten auf Wilbur einhieben, platzten lediglich winzige Splitter von ihm ab. Das jedoch machte ihn noch rasender,
als er ohnehin schon war. Wilbur schwang seinen Morgenstern. Geschickt wichen die kampferprobten Hornkämpfer den Hieben aus.
„Was zum Teufel ist das? Der Koloss von Rhodos?“, rief einer der drei und versetzte Wilbur einen schweren Kinnhaken. Wilbur schwankte leicht und der Hornkämpfer
hielt sich vor Schmerzen die Hand, was ihn jedoch nicht davon abhalten konnte, mit der anderen Faust noch einmal zuzuschlagen. Präzise und hart hatte er Wilburs Kinnlade von der anderen Seite
getroffen.
Trotzdem war es mehr der Schreck, der Wilbur dazu veranlasste, seinen Morgenstern zu Boden fallen zu lassen, als ein zweiter Hornkämpfer ihm mit einer Reihe von
Karatetritten zu Leibe rückte.
„Jetzt reicht es mir aber mit euch Maden!“, fluchte Wilbur, blockte einen weiteren Faustschlag mit seinem linken Arm ab und ließ seine Rechte vor-schnellen. Der
Dämon wurde brutal am Kopf getroffen und durch die Wucht des Schlages hart gegen die Höhlenwand geschleudert.
Als er zurückprallte, packte ihn der Schmied und wuchtete ihn im hohen Bogen in einen Trupp herannahender Skelette, die mit dem Unglücklichen zu Boden
stürzten.
Inzwischen hatte sich einer der beiden anderen Hornkämpfer von hinten an Wilbur herangeschlichen und war auf seinen Rücken gesprungen. Dabei hielt er Wilburs Hals
im Würgegriff. Während der Schmied versuchte, sich aus der harten Umklammerung zu lösen, wurde er von dem Karatefuzzy von vorhin wieder mit harten Tritten bearbeitet, die wie ein Trommelfeuer auf
ihn einprasselten.
Wilbur versuchte verzweifelt, seinen Peiniger abzuschütteln, nahm Anlauf und quetschte ihn im Rückwärtsgang mit Wucht gegen die Höhlenwand. Dabei warf Wilbur
mehrere Male seinen breiten Vulkanriesenkopf in den Nacken, genau gegen das Haupt seines Widersachers. Der Schädel des Hornkämpfers hatte der Gewalt dieser „Felsenbirne“ nichts entgegenzusetzen
und wurde obendrein noch hart gegen die Höhlenwand geschleudert.
Der Griff um Wilburs Hals lockerte sich schlagartig und der Schmied ließ den bewusstlosen Körper des Dämons zu Boden sinken.
Nun gab es nur noch den Karatekämpfer, der wieder und wieder, mit gezielten Fußtritten, unangenehm Wilburs Kinn und Nase getroffen hatte. Wilbur blockte ein, zwei
Schläge ab, bekam den flinken, wendigen Kämpfer jedoch nicht zu fassen.
„Hör auf, so herumzuzappeln, und halt gefälligst still, du halbe Portion!“, prustete Wilbur.
Der Hornkämpfer verzog keine Miene und rannte weiter gegen den Schmied an. Wilbur hatte die Arme halb ausgestreckt und schritt wie eine Dampfwalze auf seinen Gegner
zu. Der tänzelte um ihn herum und vollführte seine Kunststückchen. Wilbur hieb wiederholt ins Leere.
Dann täuschte er einen weiteren Schlag an und stoppte abrupt mitten in der Bewegung. Seine Faust verharrte kurz in der Luft und sauste dann wie ein schwerer
Dampfhammer nach unten. Der Schlag traf so heftig das Schulterblatt des Hornkämpfers, das dieser nach vorne auf die Knie fiel und bewusstlos zur Seite umkippte.
Wilbur sah um sich und erblickte verwundert den Schrat, der an einem von Dämonen umringten großen Holztisch stand. Auf der Tischplatte hatte er in eine Reihe,
verkehrt herum, drei leere Wassereimer gestellt. Über ihm in der Luft schwebten im Halbkreis die Skelettschädel seiner Angreifer.
Urban pflückte sich einen von ihnen herunter, legte ihn auf den Tisch und stülpte einen der Eimer darüber. Dann pries er vergnügt die Menge an: „Also dann, meine
Damen und Herren, auf ein Neues! Das Spiel heißt: Findet den Schädel!“
Die Eimer auf dem Tisch begannen sich wie von Geisterhand wild auf der Platte durcheinander zu bewegen. Der Schädel, der unter einem der Eimer versteckt war,
lamentierte eine Weile laut und verstummte schließlich.
„Hin und her und kreuz und quer, rundherum, das ist nicht schwer“, trällerte der Schrat ein lustiges Liedchen.
Nach ein paar Umdrehungen ließ er die drei Eimer plötzlich stillstehen. Dann wandte er sich an sein Publikum: „Ja, unter welchem Eimer ist nun der Schädel? Kommt,
Leute, wer von euch sagt mir, wo der Schädel steckt?“
Urban deutete nacheinander auf die drei Eimer: „Ist er unter diesem, diesem, oder befindet er sich unter jenem Eimer?“
Die Dämonen rätselten. Plötzlich erklang eine fluchende Stimme unter einem der Gefäße hervor: „Schluss jetzt mit dem Blödsinn, zum Kuckuck noch eins!“
„Er ist unter diesem Eimer!“, riefen die Dämonen durcheinander und stritten anschließend lautstark, wer von ihnen der Erste war, als Urban den Eimer hochgehoben
hatte, und der Schädel des Optio zum Vorschein kam. Die Dämonen waren so mit sich selber beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkten, wie sich der Schrat klammheimlich verkrümelte.
„Wir sollten besser hier verschwinden, bevor noch mehr Militär auftaucht!“, sagte Urban, während er zu Wilbur aus der Menge heraustrat und be-zeichnend in die Hände
klatschte.
„Was führst du nun wieder im Schilde?“, fragte der Schmied und guckte wie ein Auto, als die zahlreichen Skelettschädel vom Hütchentisch zu ihnen
herüberschwebten.
„Ich bringe die Schädel dahin zurück, wo sie hingehören“, sagte Urban und deutete auf die mit ausgestreckten Armen blind umherirrenden kopflosen Skelettleiber der
Gepeinigten.
„Dem Himmel sei dank, dann hat der Blödsinn endlich ein Ende!“, hauchte der Optio.
„Du willst ihnen wirklich ihre Köpfe wieder zurückgeben? Aber dann werden sie uns gleich wieder jagen!“, bemerkte der Schmied besorgt.
„Das glaube ich kaum!“, sagte Urban, grinste breit und setzte die Köpfe wieder auf die Skelettleiber.
Kaum war das geschehen, schrie der Optio: „Ergreift sie, Kameraden, sie dürfen uns nicht entkommen!“
„Was hab ich dir gesagt? Diesen Dämonen kann man nicht trauen, Urban!“, meinte der Schmied.
„Mach dir keine Sorgen, die müssen sich todsicher erst mal sortieren und damit dürften sie eine Weile beschäftigt sein!“, versicherte der Schrat.
Und tatsächlich torkelten die Skelette plötzlich durcheinander.
„Verdammt, das ist nicht mein Leib!“, herrschte der Optio und Pflückte dem Skelett neben sich den Kopf vom Leib, um seinen eigenen an dessen Stelle zu
setzen.
„He, was soll das?!, rief eine empörte Stimme, „Deine Knochen liegen da vorne am Gemüsestand verstreut!“ Das Skelett schnappte den Kopf des Optio und kegelte ihn zu
dessen Gebeinen hinüber. Eine wilde Hin- und- Her- Tauscherei von Köpfen begann...